Anpassen, Mitmachen, Abkassieren. Wie dekadente Eliten unsere Gesellschaft ruinieren

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Bernhard Heinzlmaier:
Anpassen, mitmachen, abkassieren.

Wie dekadente Eliten unsere Gesellschaft ruinieren.

Essay

120 Seiten, 18 Euro; ISBN 978-3-945398-50-0;

Bernhard Heinzlmaier, Österreichs prominentester Jugendforscher, provoziert auch in seinem neuen Essay wieder dort, wo’s wehtut, und die, die es treffen soll: prinzipienlose Manager, die sich benehmen „wie das missratene Kind einer wohlstandsverwahrlosten Erziehung“, Politiker, die „nur an die Macht wollen, egal mit welchen Inhalten“. Aber auch den wieder erstarkten religiösen Totalitarismus und schließlich das Phänomen der neuen rechtspopulistischen Bürgerbewegungen und Parteien analysiert Heinzlmaier in der gewohnten Schärfe.

Vieles von dem, was wir bis heute hochgeschätzt und hochgehalten haben, wie die Stabilität unserer kleinen Gemeinschaften, die Sicherheiten des Sozialstaates, der innere Friede im Land, die Sicherheit des Arbeitsplatzes, die soliden Löhne und Gehälter, geht nach und nach verloren, wird reduziert oder gar abgeschafft – und trotzdem bleiben die Menschen seltsam unaufgeregt. Man ist zwar dagegen, dass einem genommen wird, was man zu haben gewohnt ist, aber nicht mit großer Intensität. Leidenschaft und Zielstrebigkeit fehlen, weil sich die Menschen nicht mehr sicher sind, dass ihnen das bisherige gute Leben wirklich zugestanden hat, dass sie es wirklich verdient haben. Sie sind verunsichert von einer neoliberalen Propaganda, die ihnen erfolgreich einredet, dass alle jene, denen es materiell gut geht, ohne täglich große Risiken einzugehen, sich nur deshalb im Zustand der Zufriedenheit befinden, weil sie auf Kosten von staatlichen Leistungen leben, die sich das Gemeinwesen gar nicht mehr leisten kann.

Im Gegensatz dazu wird als das richtige Leben eine instabile und unsichere Seinsweise propagiert, eine diskontinuierliche, risikoreiche Existenz voll nervöser Unruhe, geprägt von spontan aufblitzenden Chancen, die nur der ergreifen kann, der schnell, rückhaltlos und ohne zu zögern reagiert und der vor allem dazu bereit ist, alte Sicherheiten und Behaglichkeiten aufzugeben. Der Neoliberalismus kann den Anblick des zufriedenen Menschen nicht ertragen. Er muss ihn aus seiner Komfortzone vertreiben, ihn in einen Zustand der permanenten Anspannung, der quälenden Besorgtheit, der egoistischen Angst und der feindseligen Kampfeslust versetzt sehen. Nur dieserart lebt der Mensch, so die Ideologie der Neoliberalen, im Einklang mit seiner Natur.“

Heinzlmaiers „Aufruf zum Widerstand“ erinnert an die aufrüttelnde Streitschrift Empört Euch! des großen Stéphane Hessel. Allerdings fällt Bernhard Heinzlmaiers Bestandsaufnahme weniger optimistisch aus:

Die Politik, so wie wir sie bisher gekannt haben, ist dabei, zu verschwinden. Was von ihr noch übrig ist, ist eine Ansammlung von handlungsunfähigen hohlen Gefäßen, genannt Parteien, deren Äußeres zwar artig und adrett aussieht, deren Innenleben aber heruntergekommen und verrottet ist.“

Während früher die Parteien Träger von Ideen, Idealen und Weltanschauungen, von Visionen und großen Gesellschaftsentwürfen waren, sind sie heute nicht mehr als sich unter dem Einfluss des Zeitgeistes wandelnde modische Formen. Sie sind weitgehend auf ihr äußeres Erscheinungsbild reduziert, weil die großen Erzählungen, wie der Liberalismus, der Sozialismus oder der Konservatismus, an Strahlkraft verloren haben. Wo die alten Weltanschauungen nicht mehr präsent sind, tritt an ihre Stelle die Ästhetik.“

Bernhard Heinzlmaier seziert die öffentliche Performance der Parteien mit dem scharfen Blick des professionellen Marktforschers:

Aber auch die Ästhetik der Parteien ist, sieht man genauer hin, nichts als wertloser Flitter, von empathie- und geistlosen PR- und Werbeagenturen geschaffener billiger Kommunikationskitsch, bestehend aus trivialer, einfallsloser und redundanter Bildästhetik und platter, schaler und banaler Rhetorik.“

Die Politik ist heute weitgehend genauso opportunistisch wie der durchschnittliche Softdrink-Konzern. Wie die schlimmsten Produkte der Kulturindustrie, nehmen wir hier als Beispiel Helene Fischer, schmiegt die Politik sich gurrend und schnurrend an die vulgären Überzeugungen und ästhetischen Bedürfnisse des Durchschnittsmenschen an und umgarnt sein Ego mit hingebungsvollen Treue-, Nutzen- und Sympathieversprechen, von denen sie in dem Augenblick, in dem sie sie abgibt, schon weiß, dass sie sie nicht halten wird. So wie die BesucherInnen des Helene-Fischer-Konzertes am Ende mit einem Packen realitätsferner Illusionen in ihren freudlosen Alltag zurückgeschickt werden, erwachen die WählerInnen, wenn ihr von der manipulativen Überzeugungskommunikation hervorgerufener Gesinnungsrausch ausgeschlafen ist, mit Kopfschmerzen und leeren Händen dort, wo sie sich immer schon befanden, außerhalb des Interesses und der Aufmerksamkeit der herrschenden politischen Elite.“

Eine jede Politik, der es um Erfolg abseits von Überzeugungen geht, die WählerInnen als Manipulationsobjekte betrachtet, die sie mit Maßnahmen der strategischen Kommunikation mal mehr und mal weniger subtil dorthin zu bringen versucht, wohin sie sie haben will, ist populistisch. Populistisch ist letztendlich jede Politik, die von Individuen beherrscht wird, die in erster Linie die Macht wollen und denen es egal ist, mit Hilfe welcher Ideen, Inhalte, Aktionen und Kommunikationen sie zu dieser kommen. Populismus ist die pure Lust an der Macht, die ohne Werte und Grundüberzeugungen auskommt. Geliefert wird das, was sich dem Bürger am besten verkaufen lässt. Und das sind in der gegenwärtigen Situation jene Ideen, deren Grundlage irrationale Ängste und unterdrückter Hass sind. Politik hat heute dort Erfolg, wo sie an die Ressentiments der Massen anknüpft, an deren unterdrückten Ärger, der sich dadurch zur Entladung bringen und für den Vorteil der eigenen Partei instrumentalisieren lässt, wenn man ein passendes Opferlamm anbietet, das dargebracht wird, um die eigene Schuld an der misslichen Lage zu sühnen und vergessen zu machen. Die eigene Unfähigkeit der mitteleuropäischen Bevölkerung, mit der Zuwanderung emotional fertigzuwerden, wird durch die rituelle Stigmatisierung, Abwertung und Ausschließung der Flüchtlinge kompensiert. Nicht die xenophoben, verunsicherten und ängstlichen BürgerInnen sollen daran schuld sein, dass das Zusammenleben mit den Flüchtlingen nicht klappt, der Flüchtling ist es, mit seinem unzivilisierten Betragen, seiner gelogenen Not, seiner ungezügelten Sexualität.“

Nicht zufällig hat Bernhard Heinzlmaier seinen aktuellen Essay am Vorabend zahlreicher Wahlen verfasst, in denen sich rechtspopulistische Parteien anschicken, immer mehr Parlamente zu erobern und Europa nachhaltig zu verändern. Welche Klientel bedienen diese Parteien eigentlich? Wo werden sie bei den kommenden Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern (4.9.), Niedersachen (11.9.) und Berlin (18.9.), aber auch bei der erneuten Bundespräsidentenwahl in Österreich am 2. Oktober punkten können? fragt und analysiert Bernhard Heinzlmaier im abschließenden Teil seines Essays.

Das Ressentiment ist immer mit Neid verbunden. Man beneidet die, denen etwas gegeben wird, das man selbst nicht haben kann. Dem Ressentimentbeladenen geht es gar nicht primär darum, dass das Unrecht getilgt wird und er selbst das bekommt, von dem er glaubt, dass es ihm zusteht. Viel lieber verzichtet er auf den eigenen Vorteil, wenn er sich dafür an der Bestrafung derer, die aus seiner Sicht unberechtigt genossen haben, mit perversem Vergnügen delektieren kann. Und so blüht der Neidbürger auf, wenn der Migrant in sein desolates Herkunftsland abgeschoben wird, die weinenden Kinder am Arm hinter sich herziehend, die gerade alle ihre emotional wichtigen Bezugspersonen verloren haben. Sein geistiges Auge sieht die Ungebetenen und Ungeliebten bereits jetzt, während er vor dem Fernsehapparat sitzend deren Verladung in Transportmaschinen beobachtet, wie sie auf hilfloser Herbergssuche durch ihnen fremd gewordene halbzerstörte Städte irren. Und um das Herz wird es ihm ganz leicht, weil er sich ein klein wenig als Urheber des Strafgerichtes sieht, dass die Armen nun stellvertretend für jene über sich ergehen lassen müssen, die er wirklich hasst, aber die er nicht hassen darf, weil es ihm sein nationalistisches Über-Ich verbietet: die ökonomischen und politischen Eliten seines Landes.“

Bernhard Heinzlmaier ist seit über zwei Jahrzehnten in der Jugendforschung tätig. Er ist Mitbegründer des Instituts für Jugendkulturforschung und seit 2003 ehrenamtlicher Vorsitzender. Hauptberuflich leitet er das Marktforschungsunternehmen tfactory in Hamburg. 2013 erschien im Archiv der Jugendkulturen Verlag von ihm: Performer, Styler, Egoisten. Über eine Jugend, der die Alten die Ideale abgewöhnt haben.

 

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