Schlagwort-Archive: dan brown

Im Gespräch mit „Apeirophobia“-Autor Christian J. Meier

Mit seinem neuen SF-Roman „Apeirophobia“ begibt sich Autor Christian J. Meier („K.I.: Wer das Schicksal programmiert“, „Der Kandidat: Sie zielen auf dein Innerstes“) in eine dystopische Welt, in der die Kirche regiert und die Ewigkeit wirklich wird. Im Interview verrät er uns Hintergründe zum Roman und wie er zur Science Fiction gekommen ist. (Olaf Zocher)

Hallo Christian, danke, dass du dir die Zeit für dieses Interview genommen hast. Als promovierter Physiker und erfahrener Wissenschaftsjournalist beschäftigst du dich schon lange mit Themen wie Quantenphysik oder Nanotechnologie. Was hat dich erwogen, diese und andere Themen in deinen Erzählungen und Romanen umzusetzen?

An der Science Fiction hat mich schon immer der Bezug zu den Naturwissenschaften fasziniert. Wahrscheinlich haben mich Mister Spock oder Filme wie „Andromeda – Tödlicher Staub aus dem All“, „Solaris“, oder der Disney-Film „Das Schwarze Loch“ sogar inspiriert, Physik zu studieren. Auch Carl Sagans Serie „Unser Kosmos“, die Wissenschaft spannend mit Geschichten verband, war ein wichtiger Impuls. In meinen eigenen Werken möchte ich Themen wie Quantenphysik ins Zentrum stellen. Sie erlauben eine Art Magie, ein fantastisches Element, ohne dass man dafür den Boden der Physik verlassen muss. Auch wenn ich die naturwissenschaftlichen Grundlagen ziemlich dehne: In der Logik der Story passiert nichts Übernatürliches. Selbst die phantastischen Fähigkeiten der Protagonistin Micha Berg in „Apeirophobia“ sind wissenschaftlich begründbar – sie versucht sich ja in der Geschichte an solchen Erklärungen. Es gibt tatsächlich fundierte Spekulationen darüber, ob das menschliche Gehirn Quanteneffekte nutzt. Da liegt der Gedanken nahe, diese Effekte gezielt für eine verbesserte Wahrnehmung und Kognition zu nutzen. Kurz gesagt: Themen wie Nanotechnologie oder Quantenphysik liefern ohne Ende Stoff für Fantastisches – und das macht Spaß!

Wie hast du die Handlung von „Apeirophobia“ entwickelt? War das Buch schon von Beginn an als Heldenreise konzipiert?

Was zuerst in meinem Kopf herumwaberte, war die Frage: „Was wäre, wenn jemand Himmel und Hölle real werden lassen könnte?“ Zunächst bezog ich das auf Virtuelle Realität, also eine digitale Dystopie. Das erschien mir als Idee aber zu verbraucht und zu wenig physisch. Ich bin im ländlichen Bayern aufgewachsen, der Katholizismus war ständiger Begleiter, ich habe natürlich auch ministriert. Und Himmel und Hölle hatten da immer etwas entschieden Physisches, vor allem die Hölle, deren Qualen auf Kirchenbildern ja oft sehr konkret dargestellt wird. Ich kam dann relativ schnell zu einem groben Plot, der sich dann zu „Apeirophobia“ entwickelt hat. Ich hatte mir zuvor schon vorgenommen, mal eine Heldenreise zu schreiben, da ich mit verschiedenen Plotstrukturen experimentieren will. Mit drei Romanen bin ich ja sozusagen noch Schriftsteller-Novize und ich will mich da austoben. Und ich fand, dass die Idee zu „Apeirophobia“ und die Form der Heldenreise gut zusammenpassen. Das hat sich dann beim Schreiben bestätigt, die Geschichte floss wie von selbst in diese Erzählstruktur.

War es dir wichtig, mit Micha Berg eine weibliche Hauptfigur durch diese dystopische Welt zu schicken?

Ich dachte sofort an eine weibliche Hauptfigur, nachdem sich ein ultrakonservativer katholischer Gottesstaat als Hintergrundszenario herauskristallisierte. Dramaturgisch liegt das nahe, da eine weibliche Protagonistin in so einem Umfeld natürlich deutlich mehr leidet und enorm viel Konfliktpotenzial hat. Nun könnte man sagen, damit macht man es sich zu leicht. Und diese Bedenken hatte ich auch. Aber bei meinen bisherigen Romanen war mir immer die Verbindung mit der Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts wichtig, also das Aufgreifen aktueller Entwicklungen und deren Fortschreiben in die Zukunft. Und leider leben wir in einer Welt, in der die Taliban  Afghanistan beherrschen und Frauen systematisch und äußerst brutal unterdrücken. Oder der Gottesstaat Iran, in dem das ähnlich ist. Im Westen schauen wir mit einer gewissen Sowas-kann-bei-uns-zum-Glück-nicht-passieren-Attitüde drauf. Doch auch bei uns gibt es Tendenzen in diese Richtung. Man muss sich nur die Debatten um Abtreibungen ansehen. Auch der Trend „Tradwifes“ zeigt reaktionäre Elemente: Da wird ein Frauenbild aus den 1950ern in modernem Social-Media-Kontext ästhetisiert. Wenn sich jemand privat für die Hausfrauenrolle entscheidet, ist das natürlich völlig in Ordnung. Aber wenn das dann als „Tradwife-Bewegung“ auf Social Media propagiert wird, teils sogar mithilfe von Bibelversen, wonach die Frau sich dem Mann unterzuordnen habe, dann frage ich mich schon: Was geht da eigentlich vor in unseren westlichen Gesellschaften.


Cover Apeirophobia

Christian J. Meier
Apeirophobia

Roman
Hardcover mit Lesebändchen
264 Seiten | 20 Euro

ISBN (Print): 978-3-98857-111-3

Hier geht’s zum Shop


Das Setting, in dem sich die Heldin in deinem Roman bewegt, erinnert ein wenig an die Bilder, die der legendäre Wolfgang Jeschke in vielen seiner Geschichten und Romane erstehen lassen hat. Vor allem die Beschreibung einer starken katholischen Kirche fand sich bei Jeschke oft. Wolltest auch du Kritik an der Kirche üben?

Um Kritik an der Kirche geht es mir eigentlich weniger. Es heißt im Roman ja auch „bonifazisch-katholische Kirche“, um eine Unterscheidung herzustellen. Mein fiktiver Papst Bonifaz X ist ein verrückter Wissenschaftler, der nicht regelkonform Papst geworden ist und in dem sich wissenschaftliches Genie und religiöser Wahn verbinden.

Das reale Papsttum als Institution fasziniert mich sogar, allein schon weil es seit fast 2000 Jahren allen historischen Umwälzungen, Revolutionen und so weiter widersteht. Der Papst, Rom, der Petersdom: Die dienen in meinem Roman eher als Chiffre für Ewigkeit. Die Ästhetik und Prachtentfaltung der katholischen Kirche ist ebenfalls ein fesselndes Phänomen und ich versuche das im Roman zu spiegeln.

Die Religionskritik mache ich auf einer abstrakteren Ebene, bezogen auf eine Heilsbotschaft auf der einen und eine Drohbotschaft auf der anderen Seite – dieser Dualismus von Gut und Böse, der fest in unserem westlichen Denken verankert ist und den man auch in politischen Debatten wiederfindet, oder wie Sartre schrieb: Die Hölle, das sind die anderen. Das Verrückte an meinem Bösewicht Bonifaz ist, dass er diese transzendente Dualität in die physische Welt holen will, das „Reich Gottes“ auf Erden verwirklichen. Er plant die Apokalypse mit naturwissenschaftlicher Präzision, ein regelrechter Doomsday-Fahrplan. Wie schon gesagt, glaube ich, dass mir so eine verrückte Handlung als Echo auf die Realität einfällt. Es ist ein intuitiver Prozess, den ich schlecht beschreiben kann. Spezifisch um die katholische Kirche ging es dabei nicht.

Die Mischung aus wissenschaftlichen, vor allem physikalischen Begriffen und der doch handfesten Action ist dir meiner Meinung nach gut gelungen und macht Lust auf mehr. Möchtest du die Leser:innen gerne auch für Physik begeistern und mit deinen Geschichten auch Wissen vermitteln?

In meinem Brotberuf bin ich Wissenschaftsjournalist und habe auch schon populärwissenschaftliche Sachbücher geschrieben. Manche nennen diese Rolle etwas despektierlich „Erklärbär“. Ich bin ganz gerne „Erklärbär“. Dieses Vermitteln von Wissen ist aber nicht das Ziel meiner Romane. Hier dient das Erklären von Wissenschaft dazu, deutlich zu machen, dass keine Elfen am Werk sind und um das phantastische Szenario in eine Atmosphäre von Realismus zu tauchen. Wenn der Leser sich dadurch für Quantenphysik begeistert, ist das ein willkommener Nebeneffekt. Ein zweiter Aspekt ist, dass ich in den Romanen fantastische Technologien beschreiben darf, die es noch nicht gibt, was mir im Journalismus, der ans Jetzt gebunden ist, oft fehlt.

Dein vorheriges Buch „Der Kandidat: Sie zielen auf dein Innerstes“ erschien 2022. Wie hat sich dein Schreibprozess oder deine Perspektive auf wissenschaftliche Themen seitdem verändert, und wie spiegelt sich das in „Apeirophobia“ wider?

Ich wollte mit „Apeirophobia“ etwas ganz anderes machen als mit „Der Kandidat“. Dieser Roman war von der Thematik ähnlich wie mein erster Roman „K.I. – Wer das Schicksal programmiert“. Es ging um künstliche Intelligenz in der Hand von machtbesessenen und hinterhältigen Akteuren. Während ich bei „K.I.“ streng das Dreiakt-Schema mit Plotpoints eingehalten habe, bin ich beim „Kandidat“ intuitiver vorgegangen und habe teilweise aktuelles Tagesgeschehen zur Pandemiezeit direkt in den Schreibprozess einfließen lassen. Das war ja eine Zeit, wo die Dystopie quasi vor der Haustür ablief. Der Journalist kam da etwas stärker durch.

Bei „Apeirophobia“ wollte ich wieder strukturierter arbeiten und eine bewährte Erzählstruktur verwenden, auch weil ich merkte, dass ich das fürs Schreiben brauche. Allerdings halt nicht mehr das Dreiakt-Schema, sondern eben die Heldenreise. Auch thematisch wollte ich etwas ganz anderes machen.

Was die wissenschaftlichen Themen angeht, ist „Apeirophobia“ näher an meinem eigentlichen Leibthema, der modernen Physik. Da konnte ich voll aus meinem Hintergrundwissen schöpfen.

An welchem Projekt sitzt du momentan? Können wir uns auf einen weiteren aufregenden Roman freuen?

Ja, derzeit arbeite ich an einem neuen Roman. Er spielt weit in der Zukunft und es wird wieder recht dystopisch, aber auch stark mystery-mäßig, auf wissenschaftlich fundierte Weise, versteht sich. Kein Wunder, da die rätselhafte Quantenphysik wieder mitspielt. Der Protagonist, diesmal ein Mann, will hinter den Schleier der Realität schauen und den Zufall kontrollieren. Mehr will ich im Moment noch nicht verraten.


Über den Autor

Christian J. Meier, geboren 1968, hat Physik studiert und arbeitet als Buchautor und Journalist. Er schreibt populärwissenschaftliche Sachbücher und Artikel für renommierte Medien wie Süddeutsche Zeitung, Neue Zürcher Zeitung oder Riffreporter. Als leidenschaftlicher Science-Fiction-Fan hat er selbst zwei Romane und mehrere Kurzgeschichten veröffentlicht, die sich meist um Digitalisierung, künstliche Intelligenz oder den technisch erweiterten Menschen von morgen drehen. „Apeirophobia“ ist sein dritter Science-Fiction-Roman. Christian J. Meier lebt im südhessischen Groß-Umstadt am Rande des Odenwaldes.