Noch immer sind Ängste, Depressionen und Mobbing Tabuthemen in unserer Gesellschaft. Autor Dennis Diel („Gonzo“) will das mit seinem autobiographischen Roman „Schlage bitte weiter, Kämpferherz“ ändern und spricht offen und ehrlich über seine eigenen Erfahrungen. Im Interview verrät er uns mehr.
Hallo Dennis, danke, dass du dir Zeit genommen hast, mit uns über dein neues Buch „Schlage bitte weiter, Kämpferherz“ zu sprechen. Für diejenigen unter den Leser:innen, die dich noch nicht kennen: Wer ist Dennis Diel in drei Sätzen?
Dennis: Ich bin ein Mensch, der auf der ständigen Suche nach sich selbst ist, sich niemals mit vorschnellen Meinungen zufrieden gibt und sich nicht mit Vorurteilen länger als einen Augenblick lang beschäftigen will. Ich bin ein Mensch, der es liebt, anderen Menschen Vertrauen zu schenken, Vertrauen zu erhalten und zu bewahren. Und ich bin, so glaube und hoffe ich, ein sehr guter Freund und Ehemann, der jederzeit ein offenes Ohr für die Menschen hat, die er liebt.
Was gab dir den Impuls, ein autobiographisches Buch zu schreiben?
Dennis: Die lose Idee, meine Erlebnisse, Erinnerungen und Erfahrungen niederzuschreiben, geht bis ins Jahr 2015 zurück. Damals hatte ich meine Therapie begonnen, und im Rahmen der vielen Gesprächsstunden ist in mir der Wunsch gereift, alles, was mich belastete, aufzuschreiben. Begünstigt auch gerade durch die Empathie und Begeisterungsfähigkeit meiner damaligen Therapeutin. Da ich mich zu jener Zeit aber noch in einem akuten Loch befand, alles auf der Kippe stand und ich vor lauter Angst und Zukunftssorgen den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen konnte, wanderte das Vorhaben vorerst wieder in die Untiefen meines Unterbewusstseins. Ich musste mich erst mal um mich und meine Beziehung kümmern (zu meiner Freundin, aber auch zu mir selbst), bevor ich mich dazu in der Lage sah, mein bisheriges Leben so zu reflektieren, dass mehr als betroffenes Selbstmitleid dabei herauskommen konnte. Das dauerte ein paar Jahre – genauer gesagt bis in das Frühjahr 2020. Die Coronapandemie verschaffte mir die nötige Zeit, den Ansporn und, so paradox es klingt, das richtige Maß an neuer Angst, um das Vorhaben endlich in die Tat umsetzen zu können und ein Buch zu schreiben, das auch MEIN Buch werden würde. Außerdem hatte ich damals gerade erfolgreich mein erstes Buch („Gonzo“) veröffentlicht und war bis an den Rand mit kreativem Tatendrang und schriftstellerischer Energie gefüllt.
Du sprichst einige Tabuthemen unserer Gesellschaft haben. Was glaubst du, warum sprechen wir immer noch nicht offen über psychische Erkrankungen? Warum schämen wir uns, zu unseren Problemen zu stehen?
Dennis: Zunächst einmal denke ich, dass der Umgang mit psychischen Erkrankungen besser geworden ist, als er es noch vor ein paar Jahren oder Jahrzehnten war. Es „outen“ sich immer mehr Frauen und Männer, auch Prominente, und das nimmt sicher einigen Betroffenen ein Stück weit die Angst vor Stigmatisierung und Ausgrenzung. Wenngleich auch leider längst nicht allen.
In meiner persönlichen Wahrnehmung hatte sich vieles, über das heute recht offen gesprochen wird, nach dem tragischen Suizid von Robert Enke eingestellt. Seine Depressionen, die ihn zu dieser verzweifelten Tat geführt haben, waren es, die dann anschließend offen diskutiert wurden. Plötzlich starb jemand, den die Öffentlichkeit als gegebenen Teil der Leistungsgesellschaft wahrgenommen hat, und das lenkte natürlich den Fokus hin zu Themen, um die – speziell im Profisport – seinerzeit noch große Bögen gefahren wurden. Depressionen, von denen auch Sebastian Deisler ein Lied singen konnte, waren urplötzlich kein Tabuthema mehr, sondern etwas, worüber die Menschen nun sprachen; auch, wenn sie selbst zu den Betroffenen zählten. Wenn also der Tod von Robert Enke etwas sehr Positives bewirken konnte, dann das. Dennoch ist es noch immer so, dass die mentale Gesundheit bei vielen Menschen nicht den gleichen Stellenwert wie die körperliche hat. Sich einen Therapeuten zu suchen, setzt ja voraus, dass man ein Problem erkannt hat und Bereitschaft signalisiert, es zu bekämpfen. Bei heimtückischen, sich anbahnenden Depressionen oder Angststörungen ist das aber oft gar nicht so einfach. Ich bin dennoch guter Dinge, dass sich unsere Gesellschaft – in dieser Hinsicht zumindest – zu einer empathischeren, besseren hin entwickelt. Aber das sind Prozesse, gerade eben gesellschaftliche, die Zeit benötigen, um wirklich ins kollektive Bewusstsein durchzusickern. Wir haben als Gesellschaft noch immer ein wirres Verständnis von „Stärke“ und „Schwäche“. Wer vor sich und anderen zugibt, dass er mental nicht gesund ist, ist nicht schwach – er ist stark. Und wer sich über eine viel zu lange Zeit einredet, dass mit ihm alles in bester Ordnung sei, obwohl die Dämonen im Inneren schon seit Jahren mit spitzen Nägeln an der Seelenwand kratzen, ist eben nicht stark oder besonders widerstandsfähig. Diese grundlegend falsche Kategorisierung muss aufhören. Die Menschen, die sich psychisch krank fühlen, müssten gesellschaftlich empowered werden, um nicht diese hässlichen Versagensängste zu bekommen. Aber bei all den Dingen, die wir gemeinsam im Umgang untereinander noch zu lernen haben: Ich möchte mich als Mensch mit Angststörungen oder Depressionen nicht mehr in „die gute alte Zeit“ der Sechziger bis Neunziger zurückversetzt fühlen müssen.
Dennis Diel
Schlage bitte weiter, Kämpferherz!
Autobiographie
256 Seiten
Hardcover mit Lesebändchen
ISBN 978-3-949452-23-9
In „Schlage bitte weiter, Kämpferherz!“ schreibst du ja auch viel über deine Familie und ihre „Eigenheiten“. Wie sehr haben dich die Erfahrungen deiner Kindheit geprägt – der Hitler-sympathisierende Opa, die Mutter, die an Angststörungen leidet usw.?
Dennis: Ganz extrem, natürlich. Meine Sozialisation wurde von drei großen Säulen gestützt: Antifaschismus, den ich verinnerlichte, weil mich der Hitler-Kult meines Großvaters so sehr anekelte, Freundschaft, die mir immer wichtiger war als alles andere, weil sie mir Halt gab und mich vor der Wirklichkeit daheim entfliehen ließ, und Musik, speziell die, der Böhsen Onkelz. Ganz konkret hat mich sicher mein Außenseiterdasein mehr geprägt als mir bewusst war. Ich gehörte nie dazu, aber Nichtdazugehören wollte ich nicht. Ich wurde aufgrund meines Übergewichts ab Klasse vier ausgegrenzt, zur Schau gestellt und gedemütigt, und ich könnte natürlich behaupten, dass mir das alles nichts ausgemacht hat, dass ich auch nie dazugehören wollte, aber das wäre gelogen. Als Kind wünscht man sich nichts sehnlicher, als dazuzugehören. Diese Abweisungserlebnisse waren es, die mich in späteren Jahren zu einem empathischen Menschen gemacht haben, der auf diese grotesken Mobbingerfahrungen recht entspannt zurückblicken kann. Damals waren sie die Hölle.
Mobbing ist ein zentrales Thema in deiner Geschichte. Welche Tipps hast du für Menschen, die Opfer von Mobbing werden, um damit umzugehen – sei es in der Schule, am Arbeitsplatz oder auch im privaten Bereich?
Dennis: Ich glaube, man muss sehr genau unterscheiden, wann das Mobbing stattfindet – daran bemessen sich auch die „Tipps“, die man dagegen geben kann. Findet es in der Schule statt, ist es ganz wichtig, dass man als Eltern hinter seinem Kind steht. Ihm mitteilt, dass es sich wehren und verteidigen muss; notfalls auch, indem es zurückschlägt. Selbstverteidigungskurse, Kampfsport, das Vermitteln von Werten. „Wenn du auf die rechte Backe bekommst, halte einfach die linke hin“ hat in meinen Augen als moralischer Kompass ausgedient. Bullys verstehen, speziell im schwierigen Alter zwischen 14 und 19, oft keine andere Sprache als jene, deren Vokabular sie selbst bestens beherrschen. Selbstvertrauen ist das Stichwort. Grenzen aufzeigen, zu lernen, Ansagen zu machen. Das gilt dann eben auch, in abgewandelter Form, für spätere Lebensjahre. Grundsätzlich entsteht Mobbing immer durch einen Mangel an Selbstvertrauen auf beiden Seiten. Wichtig ist, sich anderen Kollegen anzuvertrauen. Niemals zu denken, dass man selbst schuld daran ist, dass man gedemütigt wird. Gaslighting immer und sofort beenden und mit dem Finger vor allen anderen auf jene zeigen, deren eigenes Selbstwertgefühl so verkümmert ist, dass sie sich über andere hinwegheben und nach vermeintlich „Schwächeren“ treten müssen, um sich bestätigt zu fühlen.
Die Musik spielt eine wichtige Rolle in deinem Leben. Was bedeutet sie dir?
Dennis: Damals bedeutete mir die Musik der Onkelz alles. Wo ich her kam, wurde man zu dieser Zeit durch eine von vier großen deutschen Bands sozialisiert: Die Toten Hosen, Die Ärzte, Die Fantastischen Vier oder eben die Böhsen Onkelz. Bei mir war es auch in dieser Hinsicht ein wenig anders, denn vor meinem musikalischen Erweckungserlebnis mit den Onkelz stand eine etwa vierjährige Liebe zu Pur, die schon damals unter Jungs schrecklich uncool waren. Danach ging es dann auch bei mir geschmacklich bergauf (lacht). Die Frankfurter waren ab meinem fünfzehnten Lebensjahr mein Halt, Anker und meine spirituellen Wegbegleiter, Schutzpatrone und der Quell meines Selbstwertgefühls. Ohne diese Band wäre meine komplette Jugend schlechter verlaufen und ich hätte mich vermutlich noch ewig herumschubsen lassen.
Dir ist es trotz der Ernsthaftigkeit der Themen und den durchaus harten Realitäten, die du beschreibst, wichtig, immer wieder das Licht am Ende des Tunnels aufzuzeigen. Was hat dir in deinen dunklen Phasen Hoffnung gegeben?
Dennis: Ganz klar die Freundschaft zu Matthias, Daniel, Martin und Darius. Wir waren unser eigener „Außenseiter-Verein“ oder der Kamp-Lintforter „Losers Club“, in Anlehnung an Stephen Kings Meisterwerk ES. Wir haben uns in der ersten Klasse kennengelernt und sind seitdem Seite an Seite gemeinsam durchs Leben geschritten. Jeder von uns war anders als der Rest. Zu dick, zu groß, zu polnisch, ostdeutsch, zu irgendwas. Und dann noch, ganz wichtig, die Liebe zu meiner Ehefrau Manuela. 1999, mit gerade einmal 17 Jahren, habe ich sie lieben gelernt. Was für ein Glück, was mir da widerfahren ist, und eines, das ich heute mehr denn je zu schätzen weiß. Freundschaft und Liebe haben mir Kraft gegeben. Aber, und das gehört eben auch zu meiner Geschichte: Beide konnten nicht immer die tiefdunklen Wolken verdrängen, die über meinem Kopf hingen. Ich musste schon erst lernen, selbst zu kämpfen.
Was würdest du deinen Leser:innen mit auf den Weg geben wollen?
Dennis: Hört niemals auf zu kämpfen. Es gibt immer Menschen, für die es sich lohnt, weiterzumachen und den eigenen Lebenscoach nicht das Handtuch werfen zu lassen. Ich weiß, dass jeder Kampf einen gern zermürben würde, den man gegen die eigenen Dämonen führt. Und man muss auch nicht jede Runde gewinnen. Das Hinfallen gehört, ausdrücklich gewünscht, zur Kampfstrategie dazu. Aber eben auch das Wiederaufstehen. Wichtiger ist nichts im Leben, als nach einem harten Treffer nicht liegenzubleiben.
Vielen Dank, Dennis!
Dennis Diel (*1982) ist Social Media Manager und arbeitet in der Musikbranche. Sein erstes Buch, die Biografie „Gonzo“ (Hannibal) schaffte auf Anhieb den Sprung auf die SPIEGEL-Bestsellerliste. In „Schlage bitte weiter, Kämpferherz“ schreibt er seine eigene bewegende Lebensgeschichte und spricht offen über seine psychischen Probleme.
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