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„Was heißt radikales Handeln, für den Einzelnen, für sie als Gruppe? Rechtfertigt das Ziel die Wahl der Mittel?“

Interview mit Heike Brandt

Was hält man von der Waffenindustrie, wenn sie die einzige Arbeitgeberin der Gegend ist und nahezu alle in der eigenen Heimat ernährt? Heike Brandt nähert sich den Fragen nach Schuld und Verantwortung in ihrem neuen Jugendroman „Der tote Rottweiler“. Im Interview spricht sie über die Hintergründe.

Hallo Heike, vielen Dank, dass du dir Zeit für dieses Interview nimmst. Du bist freiberufliche Übersetzerin und Autorin und hast dich auf das Kinder- und Jugendbuch spezialisiert. Wie ist es dazu gekommen?

Ich habe als Kind und als Jugendliche sehr viel gelesen. Bücher eröffneten mir Freiräume, Fenster zu Lebenswelten, zu denen ich sonst keinen Zugang gehabt hätte. Ich habe gemerkt, wie sehr mich das geprägt hat, wie viel Freiheit im Denken mir das jenseits familiärer und schulischer Einschränkungen gegeben hat. Als ich mit Anfang zwanzig selbst ein Kind bekam, habe ich Pädagogik studiert, um mehr über Kindheit zu erfahren und um Alternativen zu den gängigen Sozialisationsformen zu finden. Das war Ende der Sechziger-, Anfang der Siebzigerjahre des vorigen Jahrhunderts, als weltweit viele junge Leute den gesellschaftlichen Status quo infrage stellten und sich für ein freies, selbstbestimmtes Leben ohne Ausbeutung und Unterdrückung einsetzten – für alle. Im Laufe des Studiums und bei ersten praktischen Übungen in der Schule und mit Kindern einer Notunterkunft habe ich gemerkt, dass ich mich für die Schule gar nicht und für die praktische Arbeit mit Kindern wenig eigne. Daher habe ich mich auf das eher theoretische Arbeiten, also auf das „Zuliefern“ für die praktisch Tätigen konzentriert – und dabei lag mir der Bereich der Literatur am nächsten. So habe ich schon während des Studiums mit anderen einen Kinderbuchladen gegründet, in dem wir nur Bücher verkauft haben, die unseren politischen Vorstellungen entsprachen oder ihnen zumindest nicht widersprachen, später habe ich Kinder- und Jugendbücher übersetzt, rezensiert und schließlich selbst geschrieben.

Gerade ist dein neuer Roman „Der tote Rottweiler“ erschienen. Worum geht’s darin?

Es geht um Jugendliche, die sich auf unterschiedliche Weise mit der Waffenproduktion an ihrem Heimatort auseinandersetzen, erst allein, dann gemeinsam als Gruppe. Je näher sie sich mit dem Thema beschäftigen, desto entsetzter sind sie über das, was Waffen anrichten, über die Tatsache, dass sie und ihre Familien wie alle in ihrem Ort direkt oder indirekt von der Waffenproduktion leben. Sie setzen sich mit der Frage der persönlichen Verantwortung auseinander und kommen zu dem Schluss, dass sie handeln müssen – und zwar radikal. Aber was heißt radikales Handeln, für den Einzelnen, für sie als Gruppe? Rechtfertigt das Ziel die Wahl der Mittel?

Das Waffengeschäft als zentrales Thema des Romans bietet ja ordentlich Zündstoff. Wie kam es, dass du gerade Waffen in den Vordergrund gerückt hast? Was war der Reiz für dich?

Wenn Waffen da sind, werden sie auch genutzt. Zu welchem Irrsinn das führt, sehen wir an diversen Kriegen, an Attentaten, an staatlicher Gewalt, an häuslicher Gewalt. Der Einsatz von Kleinkaliberwaffen, Schnellfeuergewehren, Bomben etc. führt nie zu wirklichen Konfliktlösungen, sondern schafft neues Elend, neue Konflikte und jede Menge Umweltzerstörung. Daher sollten solche Waffen nicht mehr produziert werden. Der konkrete Anlass zum Schreiben dieses Buches war ein Zeitungsbericht über einen zwölfjährigen Jungen, der seine beiden Eltern mit der Pistole des Vaters erschossen hatte.

Du beleuchtest das Thema ja aus verschiedenen Blickwinkeln. Wie war es, sich in die unterschiedlichen Perspektiven hineinzudenken und sie zu beleuchten?

Beim Schreiben einer Geschichte entwickeln die einzelnen Figuren ziemlich bald ein Eigenleben – es macht Spaß, dem nachzuspüren, Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, die andere Lebenserfahrungen haben als ich selbst, und sich auf diese Weise mit ihren Standpunkten auseinanderzusetzen. Das zwingt zu genauerem Hinsehen.

Gibt es bestimmte Orte oder Ereignisse, die dich besonders inspiriert haben?

Ich bin an einem Ort gewesen, an dem Waffen produziert werden, und habe mich inspirieren lassen – vom örtlichen Waffenmuseum, vom Friedhof, von der Firmengeschichte der ortsansässigen Firma, von den Aktivist:innen der Friedensbewegung, von der Geschichte der Zwangsarbeiter dort und des Gedenkens bzw. Nicht-Gedenkens daran, von den Blockadeaktionen der Lebenslaute, die sich mit Musik und gewaltfreiem Widerstand für den Frieden einsetzen. Daraus habe ich dann diese fiktive Geschichte entwickelt, in die natürlich auch andere Lebenserfahrungen eingeflossen sind.

Welche Szenen oder Figuren sind dir besonders ans Herz gewachsen? Welche haben dir Schwierigkeiten bereitet?

Das kann ich so nicht beantworten – das Schreiben ist ja ein Prozess, in dem es immer wieder andere Schwerpunkte, Schwellen und Schwünge gibt. Von den jungen Leuten ist mir vielleicht Julika am nächsten, weil ich mich auf ähnliche Weise mit meiner Familie auseinandergesetzt habe.

Du hast ja schon zahlreiche Bücher übersetzt und auch einige Romane geschrieben. Können die Leser:innen sich in Zukunft auf neuen Lesestoff von dir freuen?

Ich bin zurzeit mit meiner eigenen Familiengeschichte beschäftigt. Anhand einer Vielzahl von Dokumenten, Briefen und Fotos will ich versuchen herauszufinden, welche Familienmuster dazu geführt haben, dass fast alle Angehörigen meiner Familie das Nazi-Regime wohlwollend begleitet und unterstützt haben. Und wieso es Ausnahmen gab … Ein weites Feld, ein spannendes Thema.

Außerdem arbeite ich an Geschichten für kleine Kinder – in die vieles einfließt, was ich mit meinen Enkelkindern und mit Kindern von Freund:innen erlebt habe. Einfache Alltagsgeschichten auf Augenhöhe …

Wir stellen Ihnen dieses Interview zum Abdruck gern zu Verfügung. Bitte senden Sie uns ein Beleg zu.


Die Autorin
Heike Brandt, geboren 1947 in Jever, aufgewachsen in Berlin, wo sie immer noch lebt, hat Pädagogik studiert und sich für Projekte wie den Kinderladen in Berlin-Kreuzberg, eiengagiert. Seit Mitte der Achtzigerjahre ist sie als Rezensentin, Rundfunkautorin, Übersetzerin aus dem Englischen und Schriftstellerin tätig – zumeist im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur.


Heike Brandt
Der tote Rottweiler
Jugendroman
18 Euro | 448 Seiten | Hardcover

ISBN
print: 978-3-948675-71-4
epub: 978-3-948675-72-1
pdf: 978-3-948675-73-8

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Ab 1. September 2021 im Handel

„Irgendwie spürte ich immer eine gewisse Traurigkeit in mir, auch wenn ich lachte.“

Interview mit Mesut L.

In seinem autobiografischen Buch „Wedding 65, dritter Hinterhof“ erzählt der Sozialarbeiter und Breakdancer Mesut L. seine bewegende Lebensgeschichte. Wir haben im Interview über seine Beweggründe gesprochen.

Hirnkost: Erzählst du uns in ein paar Sätzen, wer Mesut L. ist?

Mesut. L.: Mesut L. ist geboren und aufgewachsen in Berlin-Wedding, ist Breakdancer der ersten Stunde und Deutscher Meister mit den Wedding Boys. Mit den Flying Steps war ich mehrfacher Weltmeister, habe bei diversen Musikproduktionen und Filmen mitgewirkt und bin Gründungsmitglied von KiezBoom e. V.

Woher kam die Idee, deine eigene Lebensgeschichte zu Papier zu bringen und in Form eines Buches zu veröffentlichen?

Ich wollte meine Gedanken und Gefühle ausdrücken, verschiedene Menschen erreichen, sie aufklären und in der Lebensphase abholen, in der sie sich gerade befinden. Ich möchte ihnen die unterschiedlichen Wege und Möglichkeiten aufzeigen, die auch ein Leben mit suboptimalen Startbedingungen bereithält. Und ich wollte zeigen, wie wichtig es ist, dankbar für das zu sein, was man hat. Und vielleicht auch den einen oder die andere motivieren, selbst ein Buch zu schreiben.

Du hast miterlebt, wie Berlin vor dem Mauerfall war. Wie war es für dich als Kind mit Migrationshintergrund in dieser geteilten Stadt aufzuwachsen?

Man kann sich ja die Umstände nicht aussuchen, in die man hineingeboren wird. Für mich war es eine aufregende und abenteuerliche Kindheit. Aber auch eine, die von Armut geprägt war. Ich konnte es kaum erwarten, erwachsen zu werden. Und irgendwie spürte ich immer eine gewisse Traurigkeit in mir, auch wenn ich lachte.

Mesut L.
Mesut L. | (c) Maximilian Gödecke

Das Tanzen, insbesondere der Breakdance, spielt eine wichtige Rolle in deinem Leben. Immerhin warst du Mitbegründer der Flying Steps. Wie bist du eigentlich zum Tanzen gekommen?

Da es damals in den 80ern weder Deutschrap noch das Internet gab (und wir kein Westfernsehen hatten), beschränkte sich der prägende Einfluss vor allem auf Michael Jackson, den Film Beat Street und natürlich die Straße, die Kids im Kietz. Ich selber habe mir alles durch hartes Training und eine positive Einstellung selbst beigebracht, auf Kartons, die wir einfach irgendwo draußen ausgelegt haben.

In unterschiedlichen Projekten, wie den Flying Steps oder auch KiezBoom e. V. hast du dich als Sozialarbeiter für Jugendliche eingesetzt, auch um sie von der Straße weg zu holen und von der Gewalt. Was hat dich motiviert, dich in diesem Bereich zu engagieren?

Alles wiederholt sich. Und ich wollte beim Elend und bei dem täglichen Überlebenskampf der Menschen ansetzen, die Unterstützung am nötigsten haben. Ich wollte Vorbild sein, sie motivieren, ihre Fähigkeiten und Talente zu entdecken und die Hoffnung nicht aufzugeben. Man muss an seine Träume glauben, dann kann man sie auch umsetzen.

In deine Wedding 65, dritter Hinterhof wirst du als „Überlebender mehrerer Schicksalsschläge“ beschrieben. Verrätst du uns deinen prägendsten Schicksalsschlag? Aber auch deinen größten persönlichen Erfolg?

Der prägendste Schicksalsschlag war wohl, bei 120 km/h auf der Autobahn einen Unfall mit einem Psycho-Shuttle-Fahrer zu überleben, wobei sich der Wagen mehrfach überschlagen hat.

Eines meiner schönsten Erlebnisse war, nochmals Vater von der bezaubernden kleinen Nisa zu werden. Gott hat mir die Gelegenheit gegeben, diese Prüfung mit aller Liebe zu meistern. Und natürlich bin ich genauso stolz und dankbar für meine ältere Tochter, die gerade ihre MSA-Prüfung mit einer eins bestanden hat.

Verrätst du uns, an welchen Projekten du momentan arbeitest?

Ich baue gerade eine urbane Marke auf, eine echte Straßenkollektion von wedding65, ganz transparent. Sie soll den Lifestyle des Hip Hops und Breakdance cool und tragbar machen, gewissermaßen etablieren, damit man nicht länger aufgrund der Klamotte in die kriminelle Schublade gesteckt wird. Durch die Erlöse aus wedding65 werden andere Projekte unterstützt, in denen Jugendliche gefördert und gefordert werden, auch die Aktion „Bleib sauber“. Außerdem entsteht gerade noch ein eigenes Musiklabel, das eine Talentschmiede für Nachwuchskünstler werden soll.

Wir stellen Ihnen dieses Interview zum Abdruck gern zu Verfügung. Bitte senden Sie uns aber ein Beleg zu.

Mesut L.
Wedding 65, dritter Hinterhof

18 Euro | 152 Seiten | Hardcover | Autobiografie

ISBN
print: 978-3-948675-90-5
epub: 978-3-948675-91-2
pdf: 978-3-948675-92-9

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